Über mehrere Jahre hinweg hat sich ein Konsumtrend von «Mehr haben = Mehr sein» abgezeichnet, den bereits Naomi Klein in «No Logo» kritisch hinterfragte. In einem Zeitalter, in dem sich viele Menschen bewusst für materiellen Wohlstand entscheiden, wird Zeit zunehmend zu einem knappen Gut.
Achtung Triggerwarnung: Es folgt ein Flashback an die guten alten Zeiten, als es Milch und Käse noch in der sogenannten Molkerei gab und Obst und Gemüse im Gemüseladen. Jedes einzelne Fachgeschäft versprühte eine besondere olfaktorische Note, die auch einer blinden Kundschaft unverkennbar signalisierte, welche Waren feilgeboten wurden. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sich jedes Geschäft einer Perlenkette gleich, aneinanderreihte. Ausgestattet mit dem DDR- Einkaufsklassiker, einem grossmaschigen Dederon-Mini-Einkaufsnetz (nebenbei bemerkt seinerzeit ein wahres Wunder, weil es in jede Hosentasche passte, gleichzeitig aber Unmengen damit transportiert werden konnten) und Mutti’s Einkaufsliste, klapperte ich als Knirps stolz ein Geschäft nach dem anderen ab. Meistens startete ich in der Molkerei, wo es die Milch noch in transparenten Tüten zu kaufen gab, während das Wort Tetrapack noch auf seine Geburtsstunde wartete. (Damals hätte ich vermutlich gedacht, dass es sich bei «Tetrapack» um eine neuartige Rucksack-Innovation handelt.)
Nachdem das elastische Wundernetz die ersten Einkäufe aus der Molkerei verschlungen hatte, schlenderte ich weiter in das nächste Geschäft. Der Weg dahin war überschaubar. Eine Trittstufe abwärts, zehn Schritte Richtung Osten, eine weitere Trittstufe aufwärts und so dann ertönte das vertraute Klingeln der Ladentür vom benachbarten «Konsum». Nachdem der schwere Vorhang, welcher den Blick auf das Ladeninnere verschleierte, beiseite geschoben war, verwandelte sich das kleine Geschäft in eine Miniatur-Ausgabe vom «Haus der tausend Dinge». Der Konsum war der einzige Tante-Emma-Gemischtwarenladen, welcher von der Semmel bis hin zu Pasta, Haushaltsreiniger und Schuhcreème eine Vielfalt an nützlichen Gütern des täglichen Bedarfs im Sortiment führte. Das Einkaufsnetz füllte sich hier ein weiteres Mal und die Maschen spannten sich weiter auf. Nächste Station: Gemüseladen. Gleiches Spiel wie zuvor. Eine Trittstufe abwärts, wenige Schritte ostwärts und eine Trittstufe aufwärts. Der Leserschaft wird schnell klar, dass diese Art des Einkaufserlebnisses zeitintensiver ist. Mehrere Ladentüren werden aufgestossen und fallen wieder ins Schloss. Das Bezahlen wird zu einer «Und täglich grüsst das Murmeltier» Zeremonie. Viele vertraute Gesichter der Verkäufer:innen, viele involvierte Hände. Ich kannte sie alle. Und alle kannten mich. Reichte das Geld mal nicht, kein Problem. Ein knappes Versprechen galt auch ohne Handschlag als besiegelt und ich wurde trotz Minderjährigkeit als kreditwürdig befunden. Keine fünf Minuten später stand ich wieder auf der Matte und beglich den gewährten Mini-Kredit. Rückblickend verhielt es damals so, wie die «Fantastischen Vier» in ihrem Song «Tag am Meer» besingen: Die Zeit kehrt zurück und nimmt sich mehr von sich. Und tatsächlich: Zeit gab es reichlich, dafür waren die Devisen knapp. Und nun vierzig Jahre später?