Ich habe versucht, mir eine Meinung zu Inklusion und Diversität am Arbeitsplatz zu machen. Und bin mehrmals daran gescheitert. Ich habe mir darum eine Expertin geholt, um Antworten zu finden. Leider erhielt ich keine Patentrezepte. Ausser eines.
All inclusive – ein exklusiver Austausch
Darf man das sagen?
Die gute Nachricht zuerst: Wir sind alle tolerant und offen. Zumindest behaupten alle von sich, es zu sein. Und doch wird in der Realität aus dem «Ja, klar» schnell ein «Ja, aber». Man wünscht mehr Minderheiten in Führungspositionen und doch sind dann keine dort. Man möchte Diversität, aber wo findet man sie? Macht jemand einen schlechten (also irgendjemanden abwertenden) Witz, blicken wir betreten zu Boden. Sagen auch nichts, wenn der Onkel am Familientreffen wiedermal resigniert, dass man «ja heute gar nichts mehr sagen dürfe»; und damit alles sagt. Wie auch an der Kaffeemaschine neben Meetingraum 2. Darf oder soll man etwas zum Thema sagen? Oder einfach nichts? Man soll und man darf. Aber halt nicht alles.
Um bei dieser Frage weiterzukommen, habe ich mir Hilfe bei Anja Glover geholt. Als Rassismusexpertin wird sie mich bestimmt aufklären können. Denn sie spricht in Podcasts – dem eigenen und jenen von anderen –, moderiert, hält Seminare und Workshops, bietet Coachings an und wird zu dem interviewt, was im Grunde genommen zum guten Umgang unter Menschen gehört. Oder gehören sollte.
«Sprache ist immer etwas, was sich verändert, genauso wie die Technik sich weiterentwickelt. Das Bewusstsein, welche Absichten man verfolgt, ist entscheidend.»
Kein Abzeichen ...
Sie bejaht, dass die Anfragen zu Themen wie Rassismus, Gleichstellung, Inklusion oder Diversität in den letzten Jahren deutlich mehrgeworden sind. Ein Interesse, das nicht nur den Fettnäpfchen geschuldet ist, indie man jahrelang hineingetreten ist und über die man lange hinwegzuschauen versuchte. Sondern auch ein Interesse, dass aus der Erkenntnis entstanden ist,dass der eigene Wissensstand viel geringer ist, als wir gemeinhin annehmen. Auch ich gehöre dazu.
Hier auch gleich die schlechte Nachricht: Anja Glover liefert keine Gebrauchsanweisung für den richtigen Umgang mit Diversität. Das macht sie bewusst nicht, denn Sprache wie Gesellschaft verändern sich unentwegt und oszillieren zwischen dem, was heute richtig und morgen schon falsch sein kann. Ebenso wenig gibt es ein Antirassismusabzeichen zu gewinnen, das man sich an die Brust heften könnte.
... dafür Verantwortung.
Dennoch, man sollte sich der Verantwortung bewusst sein. Gerade auch in Unternehmen wie einer Werbeagentur. Wir verdienen unser Geld in einer Branche, die jahrzehntelang fraglos käsebleiche, sich lasziv räkelnde, jugendliche Frauen und unterkühlt lässige Wohlstandstypen in die Wohnzimmer der Nachkriegsgenerationen spülte.
Eine Verantwortung auch, die wir freiwillig oder unfreiwillig übernehmen, wenn wir die Plakate und Werbespots machen, die auf die Augen und Ohren aller zielen. Wir sind nicht nur Teil dieser Kultur, sondern wir kreieren sie fortwährend. Gespickt mit Stereotypen, für die wir früher jahrzehntelang ein fürstliches Entgelt erhalten haben.
«Es ist wichtig, die eigene Wirksamkeit im Auge zu behalten, wenn man in einer Branche tätig ist, in der das erste Ziel ist, kommerziellen Erfolg zu schaffen und nicht Sinn. Das ist eine riesige Verantwortung.»
Mit der plötzlichen Einsicht, divers oder inklusiv in Erscheinung zu treten, um sich aus dem historischen Schussfeld zu nehmen, wäre ein Fehler, bestätigt Anja Glover. Auch wer in der Werbung immer dieselben Gesichter zeige, verpasse heutzutage den Markt, der auch bei uns immer diverser geworden ist. Und bei rund 85-90% der Weltbevölkerung, die nicht diesem Stereotyp zuzuordnen sind, vergeben wir als Branche aus Ignoranz eine Chance.
Anja liefert das Beispiel gleich selbst: Das erste Shampoo für Afrohaare, das explizit als solches beworben wurde, kam in England 2017 auf den Markt. Es wurde in wenigen Wochen zum meistverkauften Haarpflegeprodukt. Zweitausendundsiebzehn. Auch die Harvard Business Review kam zum Schluss, dass Unternehmen, die diverser sind, mehr Umsatz machen.
«Oft ist es so, dass die Menschen sich erst mit einem Problem auseinandersetzen, wenn es sie betrifft. Plötzlich interessieren sich die Leute für den Klimawandel, weil sie nicht mehr Skifahren können. Die unökologische Produktion unserer Schokolade hängt aber damit zusammen.»
Keine will die erste sein
Wie wird man also divers? Reicht es nicht, wenn man in der Jobausschreibung nach dem M und dem F noch ein X hinzufügt? Man muss sich bewusst sein, meint Anja, dass ein Unternehmen mit geringer Diversität auch erstmal kein attraktiver Arbeitsort für solche Arbeitnehmende ist. Platt gesagt: Niemand will die erste Frau im Team sein, wenn es nicht schon einige gibt. Exklusion beginnt also schon hier. Das ist, wie wenn gleiche Menschen über ein Thema diskutieren, von dem sie keine Ahnung haben und trotzdem einen selbstgerechten Konsens dazu finden. Da will man sich nicht einmischen. Oder man bleibt fern, so Anja. Darum, Geduld ist gefragt.
Doch wie viel Geduld? Am eigenen Beispiel: erst seit kurzem ist in der über 20-jährigen Geschichte von kreisvier die gesamte Führung in der Hand von Frauen. Dies geschehe aber nur, so Anja Glover, wenn man aktiv werde, statt fromm zu hoffen, dass die Gleichstellung eines Tages ungefragt durch die Tür kommt. Also: Inklusion, Diversität und Gleichstellung bewusst zum Thema zumachen, könnte ein brauchbares Rezept sein. Natürlich ist das mit unserer helvetischen Kultur, unangenehme Themen akrobatisch zu vermeiden, hierzulande nicht immer die wahrscheinlichste Strategie.
Aber, man macht schon viel richtig, indem man bewusst das Bewusstsein pflegt, die richtigen Fragen zu suchen; und nicht zuerst die Antworten darauf. Und sei es nur im eigenen Sprechen oder Nichtsprechen, dem eigenen Handeln oder Nichthandeln. Fehler zu machen, gehöre dazu, bestätigt die Expertin immerhin. Besser jedenfalls, als nichts zu sagen, aus der Angst heraus, es falsch zu sagen. Anja hält fest: Die meisten Menschen sind nicht rassistisch, aber sie handeln rassistisch. Oder sexistisch. Und sie merken es oft nicht. Dazu gehört manchmal eben auch, dass man nichts sagt. Im schlimmsten Fall sollte man wissen, wie man sich richtig entschuldigt, so ein weiterer Tipp.
«Es ist wichtig, dass man sich Mühe gibt, es richtig zu machen. Und wenn man Fehler macht, soll man nicht darauf bestehen, dass es keine waren.»
Man gehört ja zu den Guten
Als Texter ist mir die Sperrigkeit der deutschen Sprache in Bezug auf inklusive Praktiken natürlich täglich bewusst. Ehrlich gesagt auch ein Dorn im Auge. Ein Wort, das mehr als sechs bis acht Buchstaben hat, ist auf dem Plakat non grata. Die Doppelnennungen ziehen sich über die Zeilen wie Kaugummi, die sprachlichen Umwege sind Hydraköpfe, die sofort nachwachsen, sobald man sie abgeschlagen hat. Mehr Menschen einzuschliessen braucht auch mehr Buchstaben. Eigentlich logisch, trotzdem blicke ich neidisch auf das Englische. Ja, das klingt nach viel Arbeit und ist es auch. Wie hiess es nochmal in der preisgekrönten Serie Mad Men? «Change is neither good nor bad. It simply is.»